Das untergegangene „Neue Deutschland“ steht über der Nacht vollkommener Menschenleere. Alle sind weg, abhandengekommen, woanders unterwegs. Nur die Schneeflocken kümmert es nicht. Sie durchrieseln den Schrecken mit sanfter Poesie. Es ist der Abend vor seiner Ausreise in den Westen.
Alle diese Bilder haben sich einer Regung zu verdanken, die nicht die des Betrachters sein muss, ihn aber doch nicht einfach in das gefällige Einvernehmen mit einem Schnappschuss entlässt. Selbst dann, wenn sich wie beim Mauerfall Weltgeschichte ereignet, überschreiten Rauchs Bilder die Grenze der Ereigniskolportage, indem sie das Motiv in Kontraste kristallisieren und streng komponierte Blickverläufe organisieren. So wird im Ansturm auf den Westen ein Grenzoffizier von Menschen umspült wie von den erhitzten Hoffnungen eines delirösen Alptraums. Das Flimmern unscharfer Bewegungsabläufe auf der Fläche, die das Bild einer strudelnden Leuteerregung zeigen, läuft auf diesen einen Wachmann zu, der in das Zentrum des Geschehens will. Seine helle Stirn zeigt die einzige Stelle im Bild, die scharf, im entscheidenden Augenblick eines Weltbruchs also unbewegt geblieben war. Die Fotografie von einem Initiationsritus in Marakesch kommt von einem anderen Kontinent und als fotografierbares Geschehen aus einer anderen Epoche. Der Zusammenhang mit dem Bild vom Mauerfall ergibt sich allein aus der Sicht des Fotografen, der auch hier das chaotische, unberechenbare Gewirr aufgeregter Menschen im Punkt eines einzigen Akteurs fokussiert. Es ist die Figur von Vater und Sohn auf dem hochragenden Schimmel. Sie scheinen auf der Augenlinie des Betrachters zu schweben, während sie eine Schneise des Lichts vor sich herschieben und das Gewitter von Hell und Dunkel wie auf einer Partitur ordnen. Die Präzision der Bildchoreografie entwickelt in beiden Fällen eine innere Erzählung, die über die äußere, also motivgebende hinausweist.
In solchen durchgezeichneten Bildern scheint die Welt auf, aber als das Fragment einer Selbstwahrnehmung des Fotografen, der im Unterwegssein die Spuren seiner Lebensreise gleichsam erschafft. Zugleich ist er Chronist von Geschehnissen, die unbetrachtbar geblieben wären, wenn sie nicht auf die Höhe eines Bildereignisses zu heben gewesen wären. So gilt die Aufmerksamkeit der Bilder nicht einfach dem Übersehenen, dem sich ein sorgendes Auge zu widmen hätte, weil es sonst niemand tut. Vielmehr suchen sie im Moment das Ereignis der Zeit, um ihr ein Antlitz zu geben.