Freundschaft – ein unbezahlbarer Schatz
Wahre Freundschaft ist ein bleibendes Geschenk und eine tragende Säule unseres Lebens. Zu allen Zeiten haben dies Menschen so erfahren. In der Heiligen Schrift brachte der Weise Jesus Sirach schon im 2. Jahrhundert vor Christus das Wesen der Freundschaft in beeindruckend klarer Weise auf den Punkt: „Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden“ (Sir 6,14). Eine gute Freundschaft schenkt mir wie ein Zelt Schutz und Geborgenheit, wenn es in meinem Leben stürmisch wird. Zu einem treuen Freund kann ich kommen, wenn ich Rat oder Hilfe brauche. Auch in schwierigen Zeiten läuft er nicht vor mir davon. Er ist für mich da und stützt mich. Wie ein Zelt, das mich auf meiner Wanderschaft durch das Leben begleitet, schenkt mir die Verbundenheit mit einem Freund ein Zuhause, zu dem ich immer wieder gerne zurückkehre und das mir keiner nehmen kann.
Eine solche Freundschaft entsteht nicht von heute auf morgen. Sie bewährt sich im Auf und Ab des Lebens und reift wie ein guter Wein. In vertraulichen Gesprächen und gemeinsamen Unternehmungen, im Zuhören und gemeinsamen Schweigen wächst das Miteinander. Freunde wissen voneinander, was den Anderen bewegt, ohne dass es ausgesprochen werden muss. Die Erfahrung, dass man sich auf den Freund verlassen kann, gibt einer Freundschaft ihren unvergleichlichen Wert. So gehen Pfarrer Schäfer und ich seit unserer Schulzeit den Weg miteinander. Wir verstehen und vertrauen einander. Dies prägt zutiefst unsere Freundschaft, so dass wir unsere Hände ineinander legen können, wie dies auf dem Foto zu sehen ist.
In einer guten Freundschaft wie der unseren öffnen wir uns einander und gehen ehrlich miteinander um. Die Rolle, die wir im Alltag oft spielen müssen, die Fassade, die wir dabei nach außen zeigen, dürfen wir ablegen. Freunde begegnen einander „ungeschminkt“. Sie sehen nicht nur die strahlende Seite des Anderen, sondern sie dürfen im Schutz der Freundschaft auch ihre Schattenseiten und Schwächen zeigen. Denn als vertrauter Freund habe ich gelernt, hinter seinen Grenzen und Fehlern den Anderen in seiner ganzen Person wahrzunehmen und zu schätzen.
Für mich als Christen ist in einer Freundschaft mit einem Menschen mein Glaube an Gott tragend und daher wichtig. Die Verbindung zu einem treuen Freund ist gehalten von der Freundschaft, die Gott uns Menschen seit Anbeginn der Welt erwiesen hat. Er hat uns als sein Ebenbild geschaffen, „nur wenig geringer als Gott“ (Ps 8,6), und uns durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch begleitet. Schließlich ist Gott selbst als Mensch in unsere Welt gekommen, hat uns seine Freunde genannt und uns eingeladen, seine Zuwendung durch unser Leben aus dem Glauben zu erwidern. Dieser gemeinsame Glaube trägt die Freundschaft zwischen Pfarrer Schäfer und mir. Wenn ich meinem Freund ins Gesicht schaue, sehe ich in ihm zugleich das Bild Gottes. Dieses vom Glauben geprägte Wissen hält mich an, meinem Freund behutsam und voller Achtung zu begegnen, so als begegnete ich Gott selbst. Es verleiht mir den Respekt vor der Persönlichkeit des Anderen, der eine Freundschaft erst gelingen lässt. Wenn mein Freund helfend für mich da ist, spüre ich in seiner Unterstützung die Nähe und Hilfe Gottes. Wenn ich ihm beistehe, darf ich die Liebe an ihn weitergeben, mit der Gott mich durch meinen Alltag trägt. Der gemeinsame Glaube erinnert uns beide immer wieder daran, wie wertvoll unsere Freundschaft ist, ja, wie wertvoll wir einander sind.
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch
Freiburg, 24. Dezember 2013