Dora Heyke wurde 1912 in Göltzschen bei Leipzig geboren. Als sie ein kleines Mädchen mit schwarzem Bubikopf war, wurde Deutschland von einem Kaiser regiert. Radio und Fernsehen waren noch nicht erfunden, die meisten Leute bewegten sich zu Fuß oder mit Pferdewagen von Ort zu Ort. Später zog die Familie auf ein Gut bei Magdeburg, wo Doras Vater Arbeiter war.
Dora Heyke erlebte zwei Weltkriege und drei Deutschlands. Sie glaubte nicht an den Faschismus, den Sozialismus, den Kapitalismus, sondern daran, dass die kleinen Leute ausbaden müssen, was ein paar Mächtige anrichten. Es war Krieg, als sie selbst ein Kind war und es war Krieg als sie ihre Tochter aufzog. Es gab Reichsmark und DDR-Mark und D-Mark und Euros, aber von allem wenig. Dora Heyke lernte im Pelzgeschäft einer jüdischen Familie in Leipzig, das später von den Nazis zerstört wurde. Nach dem Krieg arbeitete sie in verschiedenen Jobs, die letzten dreißig Jahre bis zum Alter von 78 Jahren als Gemüsefrau. Danach baute sie Gemüse in ihrem Garten an.
Es gibt viele Bilder von Dora Heyke. In den letzten Jahren hatte sie sich optisch kaum noch verändert. Sie war mit 74 eine schöne Omi und das war sie auch noch mit 94. Sie war immer stolz auf ihr dichtes Haar, und legte Wert auf regelmäßigen Friseurbesuch.
Am Nachmittag des 5. April 2006 muss Dora Heyke geahnt haben, dass ihr Leben jetzt zu ende ist. Sie ließ ihre Tochter anrufen. Ihr Enkelsohn kam, der Fotograf Ludwig Rauch. Er saß eine Weile bei ihr, hielt ihr die Hand. Sie war halb da, halb war sie schon weg. Dora Heyke glaubte nicht ans Paradies. Trotzdem sprach sie manchmal von der Hoffnung, ihrem Mann und Gefährten Ludwig Heyke, der zweiundzwanzig Jahre vor ihr gestorben war, wiederzubegegnen.
Dora Heyke starb in den Abendstunden des 5. April. Ludwig Rauch begleitete seine tote Oma durch die Nacht in die Leichenhalle nach Hohenschönhausen, wo ihr Körper aufbewahrt wurde. Am 24. April wurde ihre Urne, ihrem Wunsch gemäß, auf einer Blumenwiese des Waldfriedhofs Treptow beigesetzt. Ein Trompeter spielte ihr Lieblingslied „Es ist Feierabend“. Ihr jüngster Urenkel gab ihr einen Stock ins Grab, den er ihr Jahre zuvor geschnitzt hatte, und der bei ihr gefunden wurde als sie starb.
Frauke Hunfeld